»Das digitale ist das katholischste aller Zeitalter. Die Bilder sind überall. Sie stürmen auf uns ein am Morgen, sie betten uns mit wunden Augen am Abend. Dazwischen: Das Bild als ständige Begleitung, ständige Vertretung, omnipräsent, still oder bewegt. Es spricht zu uns: Sanft, grell, verdunkelt, nachdenklich, aufreizend, aufreißend, reißerisch, verfänglich, andächtig, schwelgerisch, gedeckt, bedeckt oder offenbarend. Nur schön finden wir das schon lange nicht mehr.

‚Die Hölle ist ein nie endender Instagram-Feed‘, hätte Sartre gewiss seine Follower in einem mit hübschem Rahmen verzierten Post der Gattung ’nachdenkliche Spruchbilder‘ wissen lassen. Wie viele Abonnenten hätte er wohl gehabt? 30? Oder 30 Millionen? Wäre Kanye West einer von ihnen gewesen? Hätte West mit seiner eisernen Ich-folge-nur-einer-Person-Politik gebrochen und hätte, getragen vom Aufwind seiner kürzlich vollzogenen spirituellen Erweckung, sich einen Ruck gegeben und in einem stillen Moment von Kimlosigkeit, den Folgen-Button bei dem alten Franzosen mit dem rätselhaften Handle laputainrespectueuse geklickt? Dem Himmel sei Dank wissen wir das nicht.

Was wir aber wissen: Der Bildersturm des auslaufenden 20. und jungen 21. Jahrhunderts ist kein blutiger. Er vollzog sich geräuschlos und doch mit einer Vehemenz, die in der Menschheitsgeschichte beispiellos ist. Wobei der Begriff Bildersturm hier irritierend ist: Ging es im historischen Ikonoklasmus noch darum, das Bild regelrecht zu zerbrechen, mit physischer Zerstörungsgewalt, müssten heute keine Statuen mehr von Sockeln gestürzt werden, um den Tod des Bildes vorzubereiten. Der digitale Bildersturm funktioniert nach einem anderen, viel perfideren System: Die Zerschlagung des Bildes läuft über seine ausnahmslose, pausenlose und unerbittlich ins Unendliche gesteigerte Produktion und Reproduktion. Was man in frühen Stadien im 20. Jahrhundert mit wohlwollender utopischer Vorstellungskraft noch als so etwas wie eine Demokratisierung der Bildkultur interpretieren konnte – und es gibt solche Momente zum Beispiel in der Medienkulturphilosophie Vilem Flussers – hat sich im fortschreitenden 21. Jahrhundert immer mehr zu einer rückhaltlosen Vermassung, zu einem Beliebigmachen und schließlich Zermürben des Visuellen entwickelt. Was dabei sich zu vollenden droht, bedeutete nicht nur das Ende der bildenden Künste, sondern mit ihm zugleich das gewaltsame Sterben der Literatur als die Kunst des geschriebenen oder gesprochenen Wortes. Das vermeintlich harmlose Prinzip Instagram zeigt dabei, wie der Tod des Bildes ein zweifacher ist: Mit ihm stirbt zugleich auch der Text, der nur noch als Zusatz, im besten Fall als Ornament, im schlechten Fall als lästiges Anhängsel verstanden wird. So oder so obsolet.«

Auszug aus dem Essay »It’s Leaders and it’s Followers. Mit Jean-Paul Sartre und Kanye West auf Instagram«, veröffentlicht auf tausendebenen.com